Die Entstehung der 22 Fenster von Karl-Martin Hartmann für St. Nicolai in Kalkar

Die spätgotische Hallenkirche St. Nicolai ist weithin bekannt für ihr Ensemble spätgotischer Schnitzaltäre. Seit diesem Jahr lässt sich dort auch der vollendete Fensterzyklus des Wiesbadener Glaskünstlers Karl-Martin Hartmann bewundern: 22 bis zu 12 Meter hohe Fenster tauchen den Kirchenraum im farbiges Licht, schaffen eine einzigartige Atmosphäre. Das besondere Projekt steht unter der ideellen Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, und seiner Vorgänger Wolfgang Clement, Peer Steinbrück und Jürgen Rüttgers.

Morgen, am Samstag den 3. Oktober 2020, werden die Fenster im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes eingeweiht. Damit ist der einzigartige Fensterzyklus nach mehr als 20 Jahren der Planung und Umsetzung  abgeschlossen.

Als wir vor einigen Wochen über die Fertigstellung der beiden letzten Fenster hier berichteten, durften wir uns über viel positives Feedback freuen. Im Besonderen die Herstellung der komplexen Ornamentverglasung stieß auf großes Interesse. Daher möchten wir Ihnen zur Feier des Tages einen Blick hinter die Kulissen gewähren, den Herstellungsprozess beleuchten und einige der Beteiligten Personen vorstellen.

Zu den Entwürfen

„Wir sind analoge Wesen in einer sich digitalisierenden Welt und wir brauchen das Sinnliche, das Einmalige als komplementären Teil des Seins zum Haben. Auch dies nachhaltig zu vermitteln ist künstlerische Notwendigkeit. Farben, farbiges Licht in Glas können die Dinge der Welt ins sinnlich Schaubare eröffnen und die Frage nach dem Wert des Seins ins Unschaubare transzendieren.“

Künstler Karl-Martin Hartmann

Die Entwürfe des studierten Naturwissenschaftlers Karl-Martin Hartmann wurzeln in physikalischen Prinzipien. Als Motive verwendete er neben seinen eigenen künstlerischen Formen und Bildern auch grafische Darstellungen aus der Kern- und Astrophysik, unter anderem Feynman-Diagramme, Abbildungen von 3-Jet-Ereignissen und Deep Sky Aufnahmen des Hubble-Teleskops. Hartmann entfremdet die bekannten Bildlichkeiten. Er transferiert sie in stark farbige, kleinteilige ornamentale Formen, die eingebunden sind in größere Teppichstrukturen. Das Thema der Fenster nimmt Hartmann wörtlich: „Licht ist dein Kleid, (…), du breitest aus den Himmel wie ein Teppich.“ (Psalm 104,2).

Die handwerkliche Umsetzung

Große farbige Glasplatten in Orange, Türkis, Rot und Gelb vor einem Fenster in einer Glaswerkstatt.

Die Glasauswahl

Hartmanns komplizierte Ornamente bestehen aus bis zu 350 Glasstücken pro Feld, die sich auf mehr als 15.000 Glasstücke pro Fenster summieren. Verwendet wurden einzig opaleszierende mundgeblasene Gläser der Glashütte Lamberts® aus Waldsassen. Hartmann wählte jeden einzelnen Farbton selbst aus, besuchte dazu die Glashütte und unser großes Glaslager in Taunusstein.

Person in Schutzkleidung ätzt ein buntes Glaskunstwerk mit chemischer Lösung in einer Werkstatt.

Das Ätzen

Nach Abschluss der Glas- und Farbausauswahl wurden die Echt-Antikgläser blattweise geätzt, dabei wurde der farbige Überfang händisch mit Fluorwasserstoffsäure abgelöst. Ein Prozess, der sehr viel Erfahrung benötigt und nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden darf.

Zwei Personen arbeiten konzentriert in einer Werkstatt an farbig bedruckten Glasplatten auf einem Arbeitstisch.

Siebdruck

Die dunklen Konturen wurden mit schwarzer Konturenfarbe im Siebdruck-Verfahren auf die einzelnen Scheiben aufgebracht. Nach dem Drucken wurden die Scheiben gereinigt und die Farbe getrocknet.

Auftrag von Glasschmelzfarben

Zusätzliche Glasschmelzfarben wurden sodann im Airbrush-Verfahren aufgetragen. Dazu wurden die Scheiben mit Folie abgeklebt, die Folie zugeschnitten und sodann die flüssige Glasschmelzfarbe in einer Spritzkabine mit einer Airbrushpistole gleichmäßig aufgesprüht. Im Anschluss wurde die Folie entfernt, die Gläser gereinigt und die Farben über Nacht in Hochtemperaturöfen bei ca. 600 Grad eingebrannt.

Zwei Personen arbeiten konzentriert an einem großen, farbigen Glasfenster in einem lichtdurchfluteten Atelier.

Der Zuschnitt

Die einzelnen Blätter wurden mit Hilfe von Schablonen von unseren Glaser*innen in viele einzelne Stücke zerschnitten, in Gruppen sortiert und für das Verbleien ausgelegt.

Der Abschluss: Das Verbleien der Felder

Die einzelnen Glasstücke wurden schließlich durch Bleiruten miteinander verbunden und zu einer Bleiverglasung zusammengesetzt – eine wahre Geduldsprobe für unsere Glaser*innen. In einem letzten Arbeitsschritt wurden alle Felder verkittet und gründlich gereinigt. Die Mühe lohnt, die traditionellen Herstellungsverfahren garantieren Kunst für die Ewigkeit.

Das Team hinter den Fenstern

Über die Jahre haben so viel unserer Mitarbeiter*innen an diesen unglaublichen Fenstern mitgearbeitet und unglaubliche Arbeit geleistet. An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich bei ihnen allen bedanken und repräsentativ vier von Ihnen zu Wort kommen lassen:

Rainer Schmitt, Inhaber der Derix Glasstudios

Hat das Projekt über all die Jahre eng begleitet: „Die Fenster von Karl-Martin Hartmann sind eine gelungene Symbiose von zeitgenössischem Design und traditioneller Handwerkskunst. Sie veranschaulichen perfekt das Zusammenspiel von Glas, Licht und Farbe. Sie schaffen Atmosphäre und berühren Ihre Betrachter.“ Er ist überzeugt: „Der Fensterzyklus in Kalkar ist das Chartres des 21. Jahrhunderts.“

Manfred Gommert, langjähriger Projektleiter

Von Anfang an mit dabei: Manfred arbeite bereits an den aller ersten Fenstern für Kalkar als Projektleiter mit. In dieser Position erledigte er neben der Planung und Organisation des Projektablaufs auch vielfältige handwerkliche Aufgaben. Er unterstützte bei der Glasauswahl, Schnitt Gläser zu, führte die Siebdrucke durch. „Für mich war Kalkar bislang ein fester Bestandteil meiner Arbeit bei Derix, es hat einfach dazu gehört! So sehr ich mich über die Fertigstellung der letzten Fenster freue – die Arbeit an dem Projekt und die enge Zusammenarbeit mit Karl-Martin Hartmann wird mir auch fehlen.“

Steffi Vohla, langjährige Projektmitarbeiterin

Ist seit über 20 Jahren bei den Derix Glasstudios und hat an fast allen der 22 Fenster gebleit. Sie sagt: „Ich habe mich immer auf die Arbeit an den Fenstern gefreut, denn es sind keine gewöhnlichen Bleiverglasungen. Die komplizierten Ornamente erfordern viel Geschick und Geduld, die Herausforderung reizt mich und hat mir viel Spaß gemacht.“

Lara Schmidt, Gesellin bei den Derix Glasstudios

„Nach Abschluss meiner Lehre waren die beiden letzten Kalkar-Fenster mein erstes Projekt, das mir eigenverantwortlich übertragen wurde. Ich habe alle Scheiben selbstständig geätzt und geairbrusht.  Es war toll gemeinsam mit einem erfahrenen Team an einem solchen Großprojekt zu arbeiten und ich konnte viel Erfahrung sammeln. Neben meiner Arbeit in der Malerei, hatte ich auch die Gelegenheit die Einbausituation vor Ort und die restlichen Fenster zu sehen, das war sehr beeindruckend.“

Junge Frau arbeitet konzentriert an Glaskunst in einem Künstleratelier mit Holzregalen im Hintergrund.